Interview mit Steven England

Steven England hat Informatik studiert und arbeitet mittlerweile bei einem Telekommunikations-Unternehmen. In seiner Freizeit engagiert er sich für den Umweltschutz auf seine Weise: Mit einem sog. Citizen-Science-Projekt will er ein kostengünstiges Gerät bauen, dass Feinstaub genauso misst wie Lärm. Nachbarschaften können sich die Geräte dezentral in die Gärten stellen und so gemeinsam für bessere Daten zur Belastung durch den Flughafen sorgen.

Du betreibst Citizen Science, also Naturwissenschaft, die von einfachen Bürger*innen ausgeht. Warum braucht es das, wenn es um den Flughafen Leipzig geht? Was motiviert Dich?

Puh, das ist nicht mit zwei Sätzen beantwortet! Dazu muss ich ein kleines bisschen ausholen… Grundsätzlich, so glaube ich, braucht es Citizen Science nicht allein beim Leipziger Flughafen. Der Ausbau des Flughafens ist lediglich ein Paradebeispiel aus der Kategorie Umweltverschmutzung, bei deren Entgegnung Citizen Science einen potenziellen Hebel darstellen kann. Die Konter-Disziplin, der Umweltschutz, genießt in meinen Augen noch keine ausreichend große Lobby in der Politik. Diesbezügliche Forschung ist nicht ausreichend finanziert und Unternehmen werden nicht ausreichend in die Verantwortung genommen, Aspekte des Umweltschutzes zu beachten. Eine Folge davon ist, dass wichtige Erkenntnisse aus Mangel an Messdaten nicht zu Tage befördert werden. Das ist die Überleitung zum eigentlichen Thema. Beim Geflecht des Leipziger Flughafens handelt es sich um eine Reihe von Unternehmen, die per Definition nach optimalen Wirtschaftskennzahlen streben. Insofern darf man nicht erwarten, dass in diesem Geflecht Akteure existieren, die ein intrinsisches Interesse daran haben, mehr Daten zum Thema Umweltauswirkung zu erheben, als unbedingt nötig. Einerseits, weil das Erheben und Weiterverarbeiten von Daten mittels Messstationen Geld kostet. Geld, das den Gewinn ohne Aussicht auf Rückflüsse schmälert. Noch viel schlimmer mag jedoch der der Umstand wirken, dass mehr Transparenz dazu führt, dass Erkenntnisse an die Oberfläche gespült werden, die am Ende Investitionen verhindern oder zusätzliche Ausgaben erzwingen. Wäre der derzeitige Ausbau des Flughafens so einfach und ohne Restriktionen beschlossen worden, hätten detaillierte Gutachten zu möglichen Umweltschädigungen vorgelegen? Möglicherweise nicht. Die Unternehmen kommen also nicht von allein auf die Idee, maximale Transparenz zu erzeugen. Selbst, falls verantwortliche Politiker diese dazu verpflichtet hätten, muss entgegnet werden: Was jemand nicht machen will, macht dieser jemand auch nicht gut. Damit lautet das Fazit: Besteht ein Interesse an realistischen Messungen, sollten möglichst viele Bürgerinnen und Bürger selbst tätig werden.

Zu meiner Motivation: Die besteht allgemein darin, einen Beitrag zu Citicen-Science-Projekten mit dem Fokus auf Umweltschutz zu leisten. Im konkreten Fall lässt sich das sehr gut mit einem Ärgernis vieler Menschen rund um Leipzig und Halle verbinden, denen durch die Daten-Erfassung und spätere Analyse vielleicht sogar geholfen werden kann, indem die Lärm-Emission und die Luftverschmutzung durch Feinstaub gemindert werden. Eine Win-win-Situation 🙂

Steven England präsentiert die Bestandteile seiner selbst gebauten Messstation.

Dein Ziel ist es, dass Bürger*innen selbst Messstationen für Feinstaub aber auch Lärm in Ihrer Nachbarschaft aufbauen. Wie kann ich mir das technisch vorstellen?

Technisch besteht das Vorhaben aus zwei Komponenten. Dem eigentlichen Messsystem und einer Plattform im Internet, welche die gemessenen Daten entgegennimmt. Das Ganze ist eine integrierte Lösung, beides ist aufeinander abgestimmt. Von den verfügbaren Lösungen habe ich mich für die Kombination aus SenseBox als Messsystem und openSenseMap als Daten-Plattform entschieden. Die SenseBox ist ein Do-it-yourself-Bausatz. Sie basiert auf der Arduino-Plattform und besteht im Kern aus einer kleinen Rechen- bzw. Steuer-Einheit sowie Sensoren, die je nach Bedarf hinzugenommen werden. Für die Datenübermittlung stehen diverse Netzwerktechnologien wie etwa WiFi zur Verfügung. Dazu gibt es passende Gehäuse, die einen Betrieb im Freien ermöglichen. Alles zusammen hat etwa die Größe eines Schuhkartons.

Die gemessenen Daten landen dann wie angesprochen auf der openSenseMap. Diese besteht aus einer Benutzeroberfläche, in der Standorte der Stationen und Messreihen der Sensoren visualisiert werden. Ferner gibt es eine Datenschnittstelle, über die Messreihen abgerufen und an anderer Stelle weiterverarbeiten werden können. Die Daten sind frei einseh- und verwendbar. Das ist insofern okay, als dass außer dem Standort der Sensoren keine „pikanten“ Details preisgegeben werden.

Sie möchten selbst eine Messstation für Ihren Garten oder Ihre Nachbarschaft bauen? Auf seiner Webseite hat Steven eine Anleitung veröffentlicht.

Sind die Daten denn auch verlässlich? Ab wie vielen Stationen könnte das einen nennenswerten Effekt haben?

Ganz allgemein kann gesagt werden, dass die Sensoren keine rechtssicheren Messergebnisse erzielen können. Dafür benötigt es sehr teures Profi-Equipment. Es ist indes gar nicht das Ziel, derart präzise Messwerte zu erheben. Um es am Beispiel des Lärms deutlich zu machen: Es geht gar nicht darum, um jedes einzelne Decibel zu feilschen, sondern um Glaubhaftmachung, dass bestimmte Decibel-Grenzen mit bestimmter Regelmäßigkeit überschritten werden. Dafür reichen die Sensoren der SenseBox allemal. Besonders überzeugend sind natürlich solche Messwerte, die von benachbarten Stationen bestätigt werden, vielleicht sogar ganz konkrete Flugzeugbewegungen nachvollziehbar machen. Damit sind wir schon bei der zweiten Teilfrage: Ab wie vielen Stationen ein nennenswerter Effekt zutage tritt, vermag ich aktuell nicht zu sagen. Jede Station hilft, das Gesamtbild klarer zu zeichnen. Letztlich benötigt es nicht an jeder Ecke, pro Haushalt so eine Messstation. Ein schönes Ziel-Bild sieht in meinen Augen so aus: Pro Nachbarschaft/Siedlung rund um den Flughafen wird eine Messstation betrieben. So können sich interessierte Gemeinschaften bestehend aus Nachbarn die Finanzierung und den Betrieb der selbigen teilen. Solch ein Waben-artiges Messnetzwerk halte ich für realistisch.

Klein und handlich: Eine Messstation passt in einen A4-großen Karton.

Wie kann es Deiner Meinung nach gelingen, dass sich eine Siedlung so ein Gerät zulegt? Wie viel kostet so etwas? Von wem wirst Du unterstützt?

Für meine Begriffe spielen bei der Verbreitung der Messstationen zwei Dinge eine Rolle. Zum einen wäre da die Motivation, Daten zu erheben und zu teilen. Die blanke Existenz von Citizen-Science-Projekten mit Fokus auf Umwelt-Phänomene zeigt, dass in dieser Hinsicht eine Grundlage existiert. Sei es, weil das Bewusstsein für Umweltschutz ganz allgemein wächst oder weil Menschen, wie im Falle des Leipziger Flughafens, von den Auswirkungen der Umweltschädigungen betroffen sind.
Neben der Motivation braucht es zudem möglichst niedrige Einstiegshürden. Das betrifft finanzielle Aspekte und solche hinsichtlich benötigter Fähigkeiten. Je einfacher es ist, mitzuwirken, umso mehr Mitstreiter sollten sich finden. Klar. Die SenseBox ist ein guter Schritt in diese Richtung. Sie bietet vorausgewählte Komponenten-Sets, die über einen Online-Shop bezogen werden können. Auf Wunsch bereits zusammengebaut. Die Kosten belaufen sich in der von mir angewandten Konfiguration im SenseBox-Shop auf ca. 200,-€ (fünf Sensoren, Gehäuse, kein Zusammenbau). Wer nicht alle Sensoren benötigt, Angebote nutzt oder Teile für Gehäuse und Verkabelung im Baumarkt kauft, bekommt es sogar preiswerter. Die benötigte Software in der Basis-Ausführung/-Konfiguration kann man sich „zusammenklicken“ und auf die SenseBox transferieren. Lediglich bei der Individualisierung der Software für spezielle Gegebenheiten wird es komplizierter. Das ist übrigens der Anteil, in den ich aktuell die meiste Energie stecke. Die SenseBox und die OpenSenseMap sind von Haus aus eher auf langsam veränderliche Phänomene wie etwa die Temperatur ausgerichtet, die nicht häufiger als einmal pro Minute gemessen werden braucht. Ich entwickle eine angepasste Software, die darüber hinaus schneller veränderliche Phänomene wie den Fluglärm möglichst detailgetreu aufzeichnet.

Unterstützt werde ich in erster Linie von meiner Familie, die mir die Freiheit lässt, an diesem Bastel-Projekt zu arbeiten! Selbstredend unterstützt die Bürger-Initiative gegen Fluglärm in Leipzig dieses Projekt, indem sie es bewirbt und sich an Messungen beteiligt.

Welche Unterstützung könntest du dir noch vorstellen und was erhoffst Du Dir von dem Projekt?

Die beste Unterstützung für das Projekt wäre, sich eine SenseBox zuzulegen und zu messen! Denn aktuell befindet sich das Vorhaben noch in der Phase, in der Daten erhoben werden müssen. Der spannende Teil, an dem die Daten ausgewertet und zu Erkenntnissen überführt werden, folgt noch. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. So könnten die Daten der SenseBox durchaus mit Flug-Daten von darauf spezialisierten Anbietern korreliert werden usw. usf. Mit den Erkenntnissen wiederum könnte vieles versucht werden. Vielleicht wirkt auf dieser Basis die normative Kraft des Faktischen und es gelingt, tradierte Verwaltungsvorschriften und Messnormen einer Überarbeitung zuzuführen. Vielleicht können Auflagen zum Umweltschutz erwirkt werden (z. B. moderne Flugzeuge mit geringerer ökologischer Belastung) – vielleicht muss gar der Nachtflugverkehr eingestellt werden. Ich halte nichts davon für unmöglich, sollten die Daten so zahlreich sein, dass sie nicht mehr wegdiskutiert werden können.

Bist Du beruflich in dem Metier unterwegs? Was hast Du studiert oder gelernt?

Beruflich bin ich ziemlich weit weg vom Thema. Ich bin jedoch über meine Erwerbstätigkeit mit Kolleginnen und Kollegen vernetzt, denen Umweltschutz wichtig ist. Dadurch habe ich den einen oder anderen Gedanken aufgefasst und in dieses Projekt eingebracht. Ansonsten besteht mein Hintergrund aus einem erlernten nachrichtentechnischen Beruf und einem Informatikstudium. Dabei fällt mir ein, dass ich in dieser Zeit sehr häufig den folgenden Aufruf hörte: „Miss es oder vergiss es!“ Möglicherweise hat dieser unterbewusst dazu beigetragen, dass ich mich mit Messstationen beschäftige. Besser auf das Projekt gemünzt ist allerdings vielleicht dieses Zitat von Max Planck: „Denn was man messen kann, das existiert auch.“

„Davids gegen Goliaths“

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